Digitalisierung hat nicht nur das Privatleben vieler und die Arbeitswelt fest im Griff, sondern auch die Wissenschaft. Der Computer berechnet, analysiert, modelliert – bei komplizierten Denkprozessen vertraut der Mensch heutzutage lieber dem kleinen viereckigen Kasten. Das eigene Hirn – nur Nebensache.
Viel Raum für kriminelle Energie
Ist ja auch klasse für die Wissenschaft. Dank der Digitalisierung liegen viel schneller Ergebnisse auf dem Tisch. Nur noch ein paar Eingaben machen und schwups … eine neue Theorie ist vermeintlich belegt. Das ist nicht mehr wie zu Einsteins Zeiten, in denen die Wissenschaftler Jahre, manchmal Jahrzehnte, gebraucht haben, um ihre Gedanken in Formeln und belegbare Theorien zu gießen. Newton antwortete auf die Frage, wie er auf seine Theorie gekommen sei lapidar: „Ich habe sehr lange nachgedacht!“
Heute übernimmt der Computer die meiste Denkarbeit.
So sehr ich Computer und modernste Technologien schätze – diese Entwicklung ist bedenklich: Denn hinter jeder Software steckt doch immer noch ein Mensch, der sie manipulieren kann.
Jeder halbwegs talentierte Softwareentwickler kann in seinem Keller neue Parameter ins Computerprogramm schreiben. Er kann alles hindrehen, wie gewünscht oder eben nicht. Ein Einfluss, der meist außer Acht gelassen wird.
Das geschieht nicht immer in böser Absicht, sondern einfach weil man ein Ergebnis haben will. Und wenn sich einfach ein Programmierfehler einschleicht, dann wird das bestimmt nicht mehr zugegeben, wenn schon eine schöne Veröffentlichung erschienen ist. (z.B. mein Interview mit dem Galaxienforscher Mike Disney)
Digitalisierung in der Physik lässt grüßen
Nehmen Sie ein Beispiel aus der Galaxiendynamik: Man behauptet, Spiralgalaxien behielten ihre ästhetische Scheibenform nur dann, wenn sich die Dunkle Materie kugelförmig um das Galaxienzentrum verteilt – das ist das Resultat von Computermodellen, die das konventionelle Gravitationsgesetz zu Grunde legen.
So geht man davon aus, dass alle Galaxien mit so einem dunklen ‚Halo‘ aus irgendwelchen Teilchen (die die Theoretiker gerade erfunden haben) umgeben sind. Eigentlich ist das schon wenig glaubwürdig, denn es gibt für wie auch immer geartete Elementarteilchen keinen Grund, sich in der Galaxie so eigentümlich zu sortieren: Warum ordnet sich die sichtbare Materie in der Scheibe an, wenn die Dunkle es nicht tut?
Jene Computersimulationen waren der Anfang einer Entwicklung, bei der unerklärte Beobachtungen und theoretische Wunschvorstellungen Hand in Hand zu einer immer größeren Komplizierung führten. Um die Daten zu beschreiben, muss die kugelförmige Haloumgebung etwa zehnmal so groß wie die leuchtende Galaxie sein. Die Geschwindigkeit der Gaswolken sollte außerhalb des Halos aber dann wieder abnehmen. Aber wenn man hinsieht, tut sie dies nicht – eine von vielen Ungereimtheiten.
Digitalisierung lässt grüßen.
Wünsch dir was
Daneben gibt es auch Computersimulationen zur Galaxienentstehung. Diese kämpfen seit Langem mit einem Ergebnis, das nicht mit den Beobachtungen übereinstimmen will: Spiralgalaxien wie die unsere müssten in Hunderte von kleinen Begleitgalaxien eingebettet sein, die sich gleichmäßig im Halo verteilen. Leider gibt es im Falle der Milchstraße nur etwa dreißig Stück davon. Dieser Misserfolg wird kaschiert, indem man neue Parameter ins Computerprogramm einbaut, zum Beispiel einen, der angeblich Auswirkungen von Supernova-Explosionen beschreibt. Da man nicht die geringste Ahnung hat, wie stark dieser Effekt im frühen Universum war, probiert der Computer so lange an diesen Zahlen herum, bis das Ergebnis passt.
Ob dieses Ergebnis dann mit der Realität zu tun hat, wird eher nebensächlich … Trotz der fantastischen Rechenleistung unserer digitalen Werkzeuge würde es vielen Physikern nicht schaden, mal wieder ihren eigenen Denkapparat einzuschalten.