In der Physik spukt es. Ja, wirklich. Im Weltall wimmelt es nämlich, so sagt es das Standardmodell der Teilchenphysik voraus, von Geisterteilchen – genannt „Neutrinos“. Angeblich werden wir von abermilliarden von ihnen in jeder Sekunde durchströmt.
Diese Neutrinos sind schon ganz spezielle Gesellen. Sie haben fast keine Masse und auch keine elektrische Ladung. Sie sind fast so schnell wie das Licht und es passiert nur äußerst selten, dass mal eines mit einem anderen Teilchen reagiert. Diese Wechselwirkungen zwischen Neutrinos und anderen Teilchen sind extrem selten, dass nur Großtechnologie der „Big Science“ sie feststellen konnte. Dafür gab es dannauch einige Nobelpreise. Aber woher kommt eigentlich die Annahme, dass es diese Geisterteilchen geben muss?
Das geht auf den berühmten Physiker Wolfgang Pauli zurück. Der befasste sich in den 20er und 30er Jahren eingehend mit einer Art von radioaktivem Zerfall, dem sogenannten Beta-Minus-Zerfall. Bei diesem wird ein Elektron frei und eine gewisse Menge Energie – allerdings zu wenig! Pauli vermutete, dass diese fehlende Energie als Gammastrahlen abgegeben würde, konnte diese jedoch nicht nachweisen.
In seiner Not postulierte er ein weiteres Teilchen, das genau die erforderliche Menge Energie besaß und beim Beta-Minus-Zerfall neben dem Elektron abgestrahlt wurde. Das war natürlich fast schon eine faule Ausrede (was er in seiner erfrischenden Art auch selbst so bezeichnete), weil er die fehlende Energie nicht finden konnte. Er selbst bezeichnete das Neutrino später als „[…] das närrische Kind meiner Lebenskrise von 1930/31 […]“.
Das hat die Physiker allerdings nicht davon abgehalten, sich auf die Suche nach diesem Geisterteilchen zu begeben und Detektoren zu bauen, mit denen sie meinten, Neutrinos nachweisen zu können. Wie Sie sich vorstellen können, war es nicht einfach, Detektoren zu bauen, die derart flüchtige Teilchen einfangen. Tatsächlich dürfen Sie auch heute noch daran zweifeln, ob es die Neutrinos wirklich gibt. Denn was die Detektoren tatsächlich gemessen hatten, erforderte immer eine Interpretation mit vielen Annahmen.
Sehr oft gab es dabei Widersprüchlichkeiten. Die Detektoren konnten zum Beispiel die erwartete Menge an Neutrinos nicht nachweisen. Bis zu zwei Drittel fehlen. Auch das noch!
Die beteiligten Physiker kamen jedoch auf eine rettende Idee. Ganz in der unrühmlichen Tradition Paulis waren im Standardmodell noch zwei weitere Neutrino-Arten postuliert worden. Wie wäre es zusätzlich, wenn sich die Neutrinos immer wieder in eine andere Art umwandelten? Dann wäre es doch erklärbar, warum von der einen oder anderen Art nicht so viele gefunden werden, wie erwartet.
Die neue Generation von Detektoren konnte dann prompt mit Messergebnissen aufwarten, die der Theorie entsprechen – was für ein Zufall, die Theorie wurde ja auch konstruiert, um genau dieses Messergebnis zu “erklären“. Lachen Sie nicht – der Physiker und Soziologe Andrew Pickering hat die Mechanismen, die zu solchen Zirkelschlüssen geführt haben, detailliert erläutert.
Komischerweise wurde bisher aber immer nur nachgewiesen, dass eine bestimmte Menge an erwarteten Neutrinos in den Detektoren fehlt. Ein Überschuss von nicht erwarteten Neutrinos wurde hingegen bisher nie gefunden. Angesichts der Tatsache, dass ja die Theorie schon ordentlich zurechtgebogen worden war, um den Messergebnissen zu entsprechen, ist das doch ein reichlich mageres Ergebnis.
Das Nobelpreis-Komitee hat sich trotzdem dazu entschlossen, auch für dieses halbseidene Resultat 2015 einen Nobelpreis zu vergeben. Die Physik muss schon sehr arm an bahnbrechenden Erkenntnissen geworden sein, dass so dürftige Forschungsergebnisse dazu taugen, mit dem größten Forschungspreis der Welt ausgezeichnet zu werden.
Vielleicht handelt es sich bei den Neutrinos ja doch um echte Geister. Damit könnte wenigstens erklärt werden, warum die sonst doch eher nüchternen Physiker ihnen so närrisch hinterherlaufen – in der Hoffnung, mal eines zu schnappen.
Auch ein paar Teile Ihres Textes (Stand 2016-01-14) scheinen sich geisterhaft verwandelt zu haben – wenn der Ausfall auch nicht 2/3 beträgt. Falls man der Grammatik trauen darf.
Was meinen Sie damit? Ich habe schon mehr über Neutrinos geschrieben, bei telepolis
http://www.heise.de/tp/autor/alexanderunzicker/default.html
oder in meinem Buch „Holzweg“, Kapitel V 1+2.
Ich fürchte, meine Meinung darüber ist immer noch zu 3/3 da…
Antwort zu einem gewissen „Sascha“:
Nehmen Sie als Beispiel den 2. Absatz von Unzicker (den neben dem Bild mit den gelben Katzenaugen). Der endet unvermittelt auf „… sie“. Da fehlt zumindest das Verb im Nebensatz. Nur der Autor weiß, was er da eigentlich mitteilen wollte. Der Leser ahnt es nicht.
Da haben Sie Recht. Den Absatz habe ich vervollständigt. Vielen Dank für den Hinweis.
Da hatte sich der Fehlerteufel eingeschlichen. Bitte um Verzeihung und vielen Dank.
„Komischerweise wurde bisher aber immer nur nachgewiesen, dass eine bestimmte Menge an erwarteten Neutrinos in den Detektoren fehlt. Ein Überschuss von nicht erwarteten Neutrinos wurde hingegen bisher nie gefunden.“
Das ist schlicht und einfach falsch bzw. überholt.
T2K haben das auftauchen von electron neutrinos in einem
muon neutrino Strahl nachgewiesen
http://www.interactions.org/cms/?pid=1033083
sowie Opera das auftauchen von tau neutrinos
http://www.symmetrymagazine.org/article/june-2015/opera-catches-fifth-tau-neutrino
Hallo,
mein Beitrag war vielleicht etwas summarisch. OPERA hat tatsächlich schon vor 2011 behauptet, ein tau-neutrino gefunden zuhaben. Nachdem sie sich mit den überlichtschnellen Neutrinos blamiert hatten, wurde es eine Zeit lang recht still um die Kooperation; ich habe ihre Behauptungen auch nicht mehr weiter verfolgt.
Schon im Jahre 2011 wurde in einem Artikelvon Weinheimer und Lindner im Physik Journal
http://www.pro-physik.de/details/physikjournalArticle/1146687/Den_Geisterteilchen_auf_der_Spur.html
behauptet, KamLandhabe die Oszillationen durch Anstieg der Teilchenzahl nachgewiesen. Dann stellte sich heraus, dass dies nicht am Ort gemessen worden war, sondern nur durch einen indirekten Rückschluss von der Energieabhängigkeit. Ob T2K nicht wieder das gleiche macht, ist mir aus dem Abstract nicht erkennbar.
Ganz generell kann kann ich aus Ihrer Perspektive nachvollziehen, wenn Sie so eine Veröffentlichung zunächst für bare Münze nehmen. Der Anreiz, bei solchen ehrgeizigen Großexperimenten aber ein positves Resultat zu erhalten, ist aber so groß, so dass ich die Möglichkeit einer (auch ungewollten) Fehlinterpretation so hoch einschätze, dass ich solchen begrifflichen Absurditäten, wie sie die Neutrinoforschung derzeit produziert, keinen Glauben zu schenken vermag.
Als ich vor Jahren das erste Mal von Neutrinos hörte waren diese so winzig und asozial das selbst Lichtjahre von Blei ohne Wechselwirkung durchquert werden (wurde gesagt)… heute fängt man diese scheuen Geschöpfe mit „ein paar“ Kubikmetern Wasser…